28. Februar 2021
Eine Stadt Sieht Einen Film – SUPERMARKT
Eine Stadt Sieht Einen Film - 2021 Online Edition
BRD 1973, 84 min,R: Roland Klick
D: Charly Wierzejewski, Michael Degen, Eva Mattes, Walter Kohut, Hans-Michael Rehberg, Eva Schukardt, Kamera: Jost Vacano, Titelsong: Komposition und Text Roland Klick + Peter Hesslein, Gesang: Marius West (heute: Marius Müller-Westernhagen)
>>>> Achtung: Diese Vorstellung findet nur online, nicht bei uns im Saal statt. Sie können diesen Film und das gewünschte Rahmenprogramm kostenfrei bei sich zu Hause anschauen. Der Streaming-Link wird für Sa. 27.2. und So. 28.2..2021 freigeschaltet werden.
Das Einzige, das in Willis Leben auf den Straßen Hamburgs der 1970er-Jahre sicher ist, ist die Endgültigkeit der Abwärtsspirale, die ihn hinunterzieht. Der gerade volljährige Kleinkriminelle irrt ohne echte Chance auf eine bessere Zukunft zwischen dem Bruchbuden-Unterschlupf seines Ganoven-Kumpels Theo, dem Sofa des zwar hilfsbereiten, aber letztendlich doch karriere-motivierten Reporters Frank und den Betten reicher Freier umher und schafft es trotz Hilfsangeboten Außenstehender nicht, seine Vergangenheit hinter sich zu lassen. Erst in der Liebe zu der Prostituierten Monika erfährt Willi einen Schimmer Hoffnung, doch nur weil es ihr noch schlechter ergeht als ihm, wird daraus noch lange nichts besser.
SUPERMARKT ist eine Milieu-Studie im Gewand eines temporeichen Kriminalfilms, ohne aber seine Intentionen zu verbergen. Statt eines moralisierenden Zeigefingers, der in jener Zeit unter den Filmemacher*innen üblich gehoben wurde, überzeugt der deutsche Genrefilm mit schonungsloser Direktheit. Mit der Wahl Charlie Wierzejewski als Hauptdarsteller entschied sich Roland Klick gleichsam für Authentizität statt Schauspielausbildung; reale Erfahrungswerte durchdringen Willis Bewegungen, ob er vor Polizisten wegrennt oder sich voll routiniertem Frust von einer weiteren erstickten Zukunftschance abwendenden muss, ohne zu zögern weiterzieht, abgeklärt, ständig getrieben, bis ihm wirklich nichts und niemand mehr bleibt.
Man hat das Gefühl, Willi in die beengten Kneipen zu folgen und mit ihm hinausgeworfen zu werden, weil wir nicht genug Kohle oder einfach die falsche Frisur haben, glotzen zusammen im Kreise der übrigen Passanten auf Monika herab, wie sie sich Spaghettireste vom Kopfsteinpflaster in den Mund schiebt, fühlen aber auch, wie klebrig die Wimperntusche auf den Wangen trocknet und wie erbarmungslos der Wind durch die Ritzen des Abrisshauses am Hafen pfeift, in dem Theo seine Schießübungen direkt im Flur abhält. Kein Blick über Straßenbahnbrückenhöhe hinaus, es gibt kein dahinter, kein danach, nur das, was unmittelbar vor unseren Augen passiert. Und wenn man einen Schritt Abstand von der zermürbenden Perspektivlosigkeit der proletarischen Protagonist*innen nimmt, kann man kurz staunen über das Bild, das Hamburg vor fünfzig Jahren abgegeben haben muss: prunkvoll für die Reichen an der Elbchaussee, kippenstummelübersät abweisend für die Randgruppen, geprägt von Schwellenräumen wie Bahnhöfen und Brachen, die von letzteren nie für einen Übergang genutzt werden können.